Der 66-jährige Michele Parrinello ist Preisträger des diesjährigen Marcel-Benoist-Preis. Dies gab Bundesrat Didier Burkhalter ganlässlich der Eröffnung eines Gebäudes der Pädagogischen Hochschule an der Uni Luzern bekannt. Parrinello erhält den Preis für die Modellierung molekulardynamischer Vorgänge am Computer.
Der 1945 in Sizilien geborene Wissenschafter arbeitete schon am IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon und am Max-Planck-Institut für Festkörperphysik in Stuttgart. Seit zehn Jahren ist er Professor für Computational Science der ETH Zürich. Von 2001 bis 2003 amtete Parrinello zudem als Direktor des Schweizerischen Nationalen Hochleistungszentrum in Manno und ist heute gleichzeitig an der Universität der italienischen Schweiz (USI) und der ETH Zürich tätig. Sein Hauptarbeitsort sei aber in Lugano. Parrinello wird den Preis am 28. November während einer Zeremonie an der USI entgegennehmen.
Die Entwicklung von Computern, die mit beeindruckender Geschwindigkeit enorme Datenmengen verarbeiten können, hat sämtliche Aspekte unserer Gesellschaft geprägt. Insbesondere die Wissenschaft hat davon profitiert und zum weiteren Fortschritt in diesem Bereich entscheidend beigetragen. In diesem Rahmen entstand eine neue Art, Wissenschaft zu betreiben, die eine Brücke schlägt zwischen wissenschaftlichen Theorien und den immer komplexeren Experimenten, die durchgeführt werden, um die Theorien zu prüfen. Das neue Wissenschaftsgebiet der Computational Sciences nutzt die Tatsache, dass die Gleichungen, welche die Welt um uns herum regieren, bekannt sind und grundsätzlich – wenn sie sorgfältig gelöst werden – eine genaue Beschreibung naturwissenschaftlicher Phänomene liefern können. Auf diese Weise können numerische Experimente allein mithilfe des Computers durchgeführt werden. Der Nutzen solcher Experimente ist vielfältig: Sie liefern mehr Informationen als Laborexperimente und sind ausserdem eine Alternative zu diesen, die oftmals teuer, gefährlich oder schlicht nicht umsetzbar sind. Heute gibt es deshalb keinen Wissenschaftszweig mehr, der nicht von diesen numerischen Experimenten oder Simulationen ¬– wie sie oft genannt werden – beeinflusst worden ist.
Die enorme Entwicklung der Rechenleistung war zwar eine wesentliche, aber nicht die einzige Ursache dieses Fortschritts. Ebenso wichtig war die Entwicklung von Berechnungsmethoden (Algorithmen), mit denen diese Leistung optimal genutzt werden kann. Weltweit einen Namen gemacht hat sich Prof. Parrinello mit der Entwicklung weit verbreiteter Algorithmen, von denen einige auch nach ihm benannt sind, etwa die Parrinello-Rahman-Methode zur Erforschung von kristallinen Phasenübergängen oder die Metadynamik-Methode, mit der Simulationen beschleunigt werden können, und insbesondere die ab-initio-Molekulardynamik, die als Car-Parrinello-Methode bekannt ist. Letztgenannte Methode fand grosse Resonanz und beeinflusste zahlreiche Fachgebiete.
Über die Entwicklung neuer Methoden hinaus hat Prof. Parrinello diese auch immer wieder auf verschiedenste Systeme in der Chemie, der Biologie, der Physik und der Biophysik angewandt. In Prof. Parrinellos Simulationen wird Materie anhand ihrer elementarsten Bestandteile – Atome, Moleküle und Elektronen – beschrieben. Durch die Kombination der Daten aus den Simulationen mit der Magie moderner Computergrafik können die Bewegungen dieser grundlegenden Bestandteile auf dem Bildschirm rekonstruiert und beobachtet werden. In diesem Sinne sind die Simulationen auch eine Art virtuelle Mikroskopie.
Die von Prof. Parrinello entwickelten Methoden oder Weiterentwicklungen davon haben bedeutende praktische Anwendungen, die in der Industrie von grossem Nutzen sind, beispielsweise um neue Materialien zu entwickeln (etwa für die Verwendung in den Bereichen Elektronik und Energie), um chemische Prozesse effizienter und umweltverträglicher zu machen oder auch um neue Medikamente zu entwickeln. Natürlich kommen die Methoden auch in akademischeren Kontexten zur Anwendung, die nicht minder wichtig und faszinierend sind, zum Beispiel bei der Erforschung der Bestandteile, die im Innern der Erde oder anderer Planeten wie Jupiter und Neptun hohen Temperaturen und Drücken ausgesetzt sind. Schliesslich darf auch die Erforschung einer alltäglichen, aber lebenswichtigen Substanz nicht unerwähnt bleiben, nämlich des Wassers, dessen Eigenschaften bis heute nicht vollständig verstanden sind.
Der seit 1920 existierende Marcel-Benoit-Preis ist mit 50’000 Franken dotiert und wird hierzulande auch gerne als „schweizerischer Nobelpreis“ bezeichnet. Mit dem Preis sollen Wissenschaftler, die die nützlichste wissenschaftliche Erfindung, Entdeckung oder Studie gemacht haben, die insbesondere für das menschliche Leben von Bedeutung ist, geeehrt werden. Über dem Preisträger von Marcel Benoist Preis 2010, Daniel Loss habe ich bereits hier bei Land der Erfinder berichtet.